Freitag, 9. Dezember 2022

Kurzgeschichte Nr.3 "Trotz hinter Stahl"

„Erst einmal fühlen, nur fühlen“, dachte Sebastian und versuchte sich zu konzentrieren. Okay, es fühlte sich rau an, fast ein wenig schuppig. Dafür aber warm, richtig gut durchblutet. Und es pochte wild. Der Puls strömte unter der Haut wie ein reißender Wildbach, der in den Kurven anschwillt und ständig in Gefahr ist über die Stränge zu schlagen. Und die Härchen, nein die Härchen waren herzallerliebst! Wenn er sich jetzt noch die Farbe der Haut dazu ausmalte, dann war es komplett. Sein Alien. Wie es im Buche stand. Und doch war alles nur ein Traum. Er wusste, wenn er jetzt versuchen würde die Augen zu öffnen, würden die Traumbilder wie geplatzte rohe Eier durch seine Finger gleiten und er müsste wieder eine Nacht warten, oder zwei, oder drei. Schon zu oft hatte er es versucht, und diesmal würde er sich mit dem zufrieden geben, was der Traum zuließ. Also, Hand ausgestreckt in die stählerne Öffnung halten und fühlen. 
 
Plötzlich bewegte sich der Körper und seine Finger glitten ohne es zu wollen etwa eine Handbreit weiter nach unten. Hier fühlte sich der Körper anders an. Zerfurchter, mit warzenähnlichen Erhöhungen und auch die Haare waren länger und schienen fast miteinander verklebt zu sein. Trotz seines persönlichen menschlichen Erfahrungsschatzes war es natürlich nur eine Vermutung das er nun den Genitalbereich des Alien erreicht hatte. Was sollte er jetzt tun? Wenn er die Hand wegziehen würde, wäre das Alien womöglich beleidigt. Aber nein, es war ja bloß geträumt, das Alien war ein phantastisches Gebilde seiner Gedanken und hätte keinen Grund gehabt beleidigt zu sein. Nun, wenn es irreal war, so konnte ihm auch nichts passieren wenn er die Hand ließe wo sie nun mal war. 
 
In dem Moment schob sich der Körper ein wenig nach vorne, schien ihn geradezu zu bedrängen . Auch die Hautfurchen zitterten leicht. Aus den warzenähnlichen Drüsen drang ein glitschiges Sekret. Sein Alien war erregt, oh Gott, wegen ihm! Wie hatte er das geschafft? Fast war er ein wenig stolz und dieser Stolz schlug doch glatt in eigene Erregung um. Natürlich nichts Körperliches, eher etwas Vergeistigtes, denn schließlich turnte ihn die widerwärtige Geschlechtlichkeit seines wundervollen Traum-Aliens eher ab. Daß das aber auch ein Weibchen sein musste! Wäre es ein Männchen gewesen, wäre alles viel sachlicher, wenn nicht gar seriös wissenschaftlich abgegangen. Er hätte die Muskelstränge des Aliens abgetastet, das Reaktionsvermögen getestet und vielleicht sogar ein paar Intelligenztests, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, mit ihm gemacht. Und jetzt so was! 
 
Die Warzen schwollen langsam an. Seine Hand war mittlerweile ganz eingesudelt von dem Zeug. Es kostete ihn viel Überwindung sie nicht zurückzuziehen. Schon merkte er, das seine Konzentration im Traum schwächer wurde und er in Gefahr war aufzuwachen. Das wollte er auf keinen Fall. Wer wusste schon wann er wieder von einem Alien träumen würde? Vielleicht war dies das letzte Mal! Also Augen zu und durch... Vorsichtig strich er mit der Hand die Furchen entlang, glitt mit den Fingerspitzen in die kleinen Täler und versuchte mit der Hand ganz leichten Druck auszuüben. Das Gewebe schwoll an und zum ersten mal vernahm er ein leichtes Brummen aus dem außerirdischen Körper. 
 
Da wurde ihm in seinem wissenschaftlichen Eifer mit einem Schlag klar, was er da eigentlich tat. Er war dabei ein Alien sexuell zu befriedigen!! Und das allein aus Angst ihn zu verlieren! Wissenschaftliches Interesse hin oder her, das ging zu weit. Er wollte aufwachen, auf der Stelle! Ihm war jetzt alles egal. Das, was er da gerade geträumt hatte, konnte man keinem erzählen, die hätten ihn alle für notgeil gehalten, für Alien-notgeil! 
 
In dem Moment wurde seine Hand verschluckt. Er riss die Augen auf, aber noch bevor er etwas im Halbdunkel erkennen konnte wurde sie wieder ausgespuckt. Die Stahltür wurde von innen zugeschlagen, und mit lautem Rumpeln entfernte sich das Alien ins Inneren des Raumschiffes. Er starrte auf seine Hand. Sie war mit einem silbernen Film überzogen, in dem feine Äderchen schimmerten. Die Hand selbst konnte er bewegen. Sie war nicht gequetscht worden. Von was auch immer sie verschluckt worden war, es verstand sein Handwerk und war zugleich flink und behutsam vorgegangen. Langsam löste seine Hand sich in Nebel auf und er erwachte. 
 
In dem Moment fing der Wecker an zu klingeln. Er streckte seinen Körper, zog den Arm unter der Bettdecke hervor und tastete nach der schrillenden Maschine. Ungeschickt rutschte er daran ab und stieß den Wecker vom Nachttisch. Er fiel laut plärrend hinunter, prallte auf und verstummte. Auch eine Möglichkeit ihn zum Schweigen zu bringen, dachte er, drehte sich herum und schlief weiter.

HvvH`30/03/05 - entstanden in Düsseldorf

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