Freitag, 9. Dezember 2022

Kurzgeschichte Nr.12 "(ohne Titel)"

Geradeaus ging es nicht weiter. Zur Seite war auch alles verbaut. Also wieder zurück.Wieder an all den Dingen vorbei, die sie bereits gesehen hatte. 
 
Aber, so tröstete sie sich,- die Dinge wären zwar dieselben, nicht aber die Menschen. Die wären anders, allein schon weil sie nicht mehr dieselbe war. Sie würde sie mit anderen Augen sehen. Aber wollte sie das überhaupt? Wenn man es ganz genau nahm, müßte man sich eingestehen, dass es kein Zurück gab. 
 
So wie die Zeit immer nur zukünftig voranschreitet, so geht auch der Lebensweg immer nur schnurstracks gen Neuland. Nie weiß man da, woran man ist. Und das ist auch gut so. So kann man davon träumen, was wohl bald sein wird und wie sich die Dinge entwickeln, oder einfach nur dankbar sein dafür, wie sich das Leben in der Gegenwart verhält... 
 
Wenn es also im Leben nur voran geht, dann, so dachte sie mit plötzlichem Trotz,- dann auch hier. Sie würde geradeaus gehen und ihren Weg schon finden. Sie würde weder kehrt machen, noch seitlich einen Weg suchen, sondern direkt und der Nase nach vorwärtsschreiten. Also trat sie an den Baustellenzaun und lugte durch die Holzlattenritzen. 
 
Das was sie sofort erkannte war das riesige Bauloch. Das was ihr erst auf den zweiten Blick ins Auge fiel, war die tote Katze. Sie lag quer über einem Stapel rostiger Stahlträger, und ihr Verwesungszustand war schon so weit fortgeschritten, dass ihr geplätteter Körper wellenförmig an den unebenen Untergrund angeschmiegt war. Der Bauch war eingefallen und der Brustkorb ragte deutlich hervor. Die Katze, sie musste schon eine ganze Weile dort liegen... Arme Katze! Wodurch sie wohl ihren Tod gefunden hatte? 
 
Lilli stellte sich vor, dass die Katze über das Baustellengelände tappste und beim Überqueren der Stahlträger einfach tot umfiel. Ja, das schien ihr am plausibelsten. Alles ander wäre zu theatralisch. Es hatte kein Jagd stattgefunden, kein Feind hatte sich der flinken Vierbeinerin entgegengestellt oder sie hinterrücks gemeuchelt. Sie war einfach sang und klanglos erloschen. 
 
Und nun lag sie da, und der einzige, der sie zu sehen schien, war Lilli. Wo waren überhaupt die Bauarbeiter? Es war unter der Woche, eigentlich müsste auf dem Baustellengelände rege und lautstarke Arbeit vorherrschen, aber es war mucksmäuschenstill und kein Mensch zu sehen. Nur die Sonne brannte in das grellreflektierende, ockerfarbene Bauloch und kleine Sandwolken wehten zwischen den aufgehäuften Bauschuttbergen. 
 
- unvollendet
 
HvvH`16/07/14 - entstanden in Neugreußnig (Ebersbach) bei Döbeln, Sachsen

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